
Interview with casting-network magazin
In the spring edition 2024 of casting-network magazin,
Tina Thiele interviewed me and actor Jan Kampmann about Lucid Body:
Lucid Body – eine ganzheitliche Technik für alle Körper und Gewerke
Lucid Body ist eine Schauspieltechnik, die einen körperlich-energetischen
Zugang zur Rolle ermöglicht. Sie basiert auf Carl Gustav Jungs psychologischer
Theorie über das Unbewusste, die Archetypen, Konzepte wie Persona,
Schatten und Kindheitsbedürfnis, die auch von vielen ganzheitlichen Therapeut*
innen verwendet werden. Jungs intensive Auseinandersetzung mit dem
menschlichen Verhalten und den inneren Antrieben lässt sich phantastisch für
die Erarbeitung komplexer Rollen verwenden. Im Lucid-Body-Unterricht geht
es immer auch darum, dass Schauspieler*innen sich selbst besser kennenlernen.
Über die körperliche Arbeit erforschen wir unsere Verhaltensmuster,
die durch unsere Biografien und individuellen äußeren Einflüsse geprägt sind.
Diese tiefschichtige Technik lässt sich dann vom Selbst auf die Rollenarbeit
übertragen. Letztendlich bietet sie Schauspieler*innen oder jedem, der an
Selbsterweiterung interessiert ist, einen Weg, die gegebenen Umstände einer
Figur mit einer tiefen viszeralen Wahrheit zu verkörpern, indem sie die Energie
in ihren eigenen Körpern neu anordnen.
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Fay Simpson und die Lucid-Body-Technik ist einigen durch den Oscar bekannt, den Lupita Nyong'o für ihre Rolle in „12 Years a Slave“ erhielt, bei der sie intensiv mit der Lucid-Body-Methode arbeitete. Die Technik hat durch die intensive Zusammenarbeit von Sophie und Jan Kampmann im Think Tank von Cast Me In auch den Ansatz der "Aesthetic of Access" verfolgt. In diesem Interview möchten sie die Lucid-Body-Technik vorstellen, ihre Anwendung erkunden und andere dazu inspirieren.
Sophie Löschburg ist Schauspielerin und Schauspieldozentin, die sich auf die Lucid-Body-Technik spezialisiert hat. Sie absolvierte ihre Ausbildung am Lucid-Body-House in New York unter der Leitung von Fay Simpson. Ihre Karriere umfasst Theaterauftritte an renommierten Bühnen wie dem Staatstheater Stuttgart, dem Staatstheater Meiningen und dem Neuen Theater Halle sowie Film- und Fernsehrollen in Produktionen wie „The Night Father Christmas Died“ und „The Libertine“. Sophie lebt in Berlin und Mecklenburg und bietet deutschlandweit Lucid-Body-Workshops und Coachings an.
Jan Kampmann ist Schauspieler und Moderator. Seine Schauspielausbildung hat er in Hamburg absolviert, außerdem ist er ausgebildeter Journalist und hat bereits als Reporter und Redakteur für verschiedene ARDRedaktionen, u.a. die tagesschau, gearbeitet. Jan ist Rollstuhlfahrer und wird von der Agentur Rollenfang vertreten.
Was hat euch dazu inspiriert, euch mit der Lucid-Body-Technik zu beschäftigen?
Sophie: Die Begegnung kam bei mir durch Mike Bernardin zustande, der Lucid Body vor 10 Jahren nach Berlin holte. Ich war sofort begeistert, dass es eine Schauspieltechnik gibt, die sowohl handwerklich fundiert als auch direkt, körperlich und intuitiv ist. Schließlich habe ich Fay kontaktiert und begonnen, mit ihr zu arbeiten. Sie ist die Begründerin von Lucid Body und hat das Lucid Body House in New York gegründet. Die Arbeitsatmosphäre dort hat mich umgehauen! Schauspieler*innen unterstützen und bestärken sich gegenseitig und wachsen mit scheinbarer Leichtigkeit über sich hinaus. Dabei entwickeln sie die vielfältigsten Charaktere, sind immer authentisch, unberechenbar und voller Komik.
Jan: Mir wurde das Hörbuch „The Lucid Body“ auf einer Hörbuch-App empfohlen – vermutlich, weil ich bereits viel Literatur zu Körperarbeit und auch ein paar Schauspielhörbücher gehört hatte. Als ich darauf klickte, erfuhr ich, dass es um Schauspielerei ging, und es hat mich gepackt, weil es genau „meine Sprache gesprochen“ hat. Dann habe ich Fay Simpson auf Instagram geschrieben und sie hat mir dann schlussendlich Sophie in Berlin empfohlen.
Mögt ihr uns beschreiben, wie die Technik konkret angewendet wird?
Sophie: Ein Beispiel: Während ich vielleicht meine Wut darüber unterdrückt habe, dass ich in meinem Elternhaus nicht gesehen wurde, spüre ich heute, dass diese unterdrückten Gefühle mein Verhalten sowohl in der Rollenarbeit als auch in meiner persönlichen Entwicklung immer noch beeinträchtigen. Mein Bestreben, gemocht zu werden oder gut zu sein, welches ich entwickelt habe, um diesen Mangel zu kompensieren, könnte als meine Persona, meine äußere Persönlichkeit, betrachtet werden, während die unterdrückte Wut, die ich nie ausdrücken durfte, zum Schatten gehört. Es geht ja nicht nur darum, in einer Rolle gut zu sein, sondern darum, authentisch zu sein. Mit der Lucid-Body-Technik untersuchen wir diese verschiedenen Persönlichkeitsaspekte, die unser Verhalten beeinflussen, und übertragen sie auf die Rollenarbeit. Dadurch entstehen vielschichtige Charaktere mit komplexen Motiven und Zielen, die oft widersprüchlich sind und unerwartete Taktiken einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen. Und es stimmt, was Jan sagt: Körperarbeit kommt oft zu kurz. Dabei ist Schauspielerei Körperarbeit. Jedes menschliche Verhalten lässt sich über den Körper aktivieren. Die Spielimpulse des Körpers sind so viel wahrhaftiger als die des Verstandes.
Jan: Beim ersten ausführlichen Telefonat fühlte ich mich gleich verstanden, denn Sophie ging das Problem nicht mit kognitiven Schauspieltechniken an, die ich von Lehrenden mit traditionelleren Ansätzen kannte, sondern erfasste es ganzheitlich und zeigte sofort Lösungen auf. Dies war mein persönlicher Wendepunkt, an dem ich spürte, dass es das Richtige für mich war. Es ging von einem intellektuellen Verständnis, das ich aus Büchern gewonnen hatte, zu einem persönlichen, körperlichen Gefühl über.
Jan, kannst Du beschreiben, wie die Lucid-Body-Technik Deine konkrete Rollenarbeit beeinflusst?
Ich habe nach einer Technik gesucht, mit der ich die Rolle in meinem Körper verankern kann, ohne jedes Mal vor einem Auftritt oder am Set darüber nachdenken zu müssen. Während meiner Arbeit mit Lucid Body bringe ich die Rolle gezielt in meinen Körper, analysiere, welche Körperregionen und Energiezentren für die Rolle relevant sind und spüre, wie sie sich darin manifestieren. Sophie hat mit mir bestimmte Leitsätze entwickelt und an Gesten gearbeitet, die perfekt zur jeweiligen Figur passen. Diese Gesten und Schlüsselsätze dienen mir als Werkzeuge, um schnell in die benötigte Stimmung zu kommen und verschiedene Intentionen miteinander zu verbinden. Das Körpergedächtnis speichert die mit den Sätzen und Gesten verknüpften Gefühle, und das gibt mir Sicherheit. Ich weiß einfach: Ich hab die Rolle im Körper, ich kann sie nicht verlieren. Diese Gesten bleiben bei mir und bieten eine Art Sicherheit, die ich in anderen
Techniken nicht gefunden habe. Es ist definitiv ein Weg, der mir sehr viel bringt, und ich freue mich darauf, weiter daran zu arbeiten.
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Sophie, wer hat Dich motiviert, den Schritt zu wagen, Deine Ausbildung in den USA zu absolvieren?
In dem Jahr, als ich die Lucid-Body-Technik kennengelernt hatte, hat Lupita Nyong'o, die gerade als Juryvorsitzende der Berlinale präsent war, den Oscar für ihre Rolle in „12 Years a Slave“ erhalten, bei der sie intensiv mit der Lucid-Body-Methode gearbeitet hatte. In ihrer Dankesrede sagte sie: „Fay Simpson, I want to thank you for helping me find Patsey’s heart.“ Das war ein entscheidender Moment für mich. Monika Goßmann, mit der ich zuvor in Deutschland gearbeitet hatte und die als Lucid-Body-Professorin nach Florida ging, sprach mich an und meinte, dass sie sich vorstellen könne, dass ich diejenige bin, die das in Deutschland übernimmt. Wow! Ich war überwältigt von der Vorstellung, drei Jahre lang mit Fay Simpson zu arbeiten. Das war definitiv eine der inspirierendsten Erfahrungen meines Lebens.
Welche spezifischen Erkenntnisse und Entwicklungen hast Du durch die Anwendung der Lucid-Body-Technik bei Dir selbst und Deinen Schüler*innen beobachtet?
Auf jeden Fall zeigt die Erfahrung mit Lucid Body, dass grundsätzlich jede*r in der Lage ist, wirklich alle menschlichen Verhaltensweisen und Gefühle zu durchleben. Diese universellen Emotionen werden durch persönliche Authentizität noch verstärkt. Die Schüler*innen erleben eine erstaunliche Transformation und sind oft selbst überrascht von dem, was plötzlich aus ihnen herauskommt. Zum Beispiel höre ich Sätze wie: „Ich dachte immer, ich könnte auf der Bühne nicht weinen, aber jetzt fließen die Tränen ohne Anstrengung. Es tut sogar richtig gut!“ Es ist erstaunlich zu sehen, wie Schauspieler*innen emotionale Tiefe erreichen, die sie zuvor für unerreichbar hielten. Und das alles geschieht mit Leichtigkeit und Freude am Spiel. Unsere Vision ist es, Schauspieler*innen auszubilden, die nicht nur ihre Rollen, sondern auch ihr eigenes Leben gesund und erfüllt gestalten können.
Welche Voraussetzungen braucht man für Lucid Body und welche Kurse werden angeboten?
Die Technik ist für professionelle Schauspieler*innen und Schüler*innen gleichermaßen äußerst wertvoll. Es ist ratsam, einen Basiskurs zu absolvieren, um grundlegende Kenntnisse zu erlangen, bevor wir uns der Rollenarbeit zuwenden. Wir arbeiten sowohl in Gruppenkursen als auch in Einzelcoachings. Jedes Jahr finden Lucid-Body-Retreats an unterschiedlichen Standorten statt, wo wir uns über neue Ansätze austauschen.
Welche Rolle spielt die körperliche Behinderung von Jan in Bezug auf die Anwendung von Lucid Body?
Jan: Ich würde sagen erstmal keine zentrale Rolle. Ich mache die Arbeit so, wie sie für mich umsetzbar ist. Beispielsweise führe ich manche Übungen dann nicht im Stehen durch, sondern im Sitzen oder Liegen. Der größte Unterschied ist, dass ich meinen Körper unterhalb der Lähmungshöhe nicht so spüre wie Nicht- Behinderte und deshalb irgendwie eine innere Verbindung finden muss, die nicht über den Spinalkanal geht wie bei Menschen ohne Querschnittlähmung. Es ist ein gefühltes, inneres Wissen. Das ist einer der Gründe, warum ich diese Arbeit für Menschen mit körperlichen Behinderungen für sehr wichtig halte, da man sich oft den Körper zurückerobern muss. Bei mir persönlich war es so, dass ich nach meinem Unfall noch stärker zum Kopfmenschen wurde und Schwierigkeiten hatte, eine Verbindung zum Körper herzustellen. Ich habe kürzlich mit einer anderen Schauspielerin mit Behinderung gesprochen, die genau dieselbe Formulierung verwendet hat: sich den Körper zurückholen oder zurückerobern.
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Sophie: Ich habe immer wieder festgestellt, dass die Bereiche, in die wir uns am schwersten hineinbewegen können, die wir uns also sowohl körperlich als auch emotional „zurückholen“ müssen, oft diejenigen sind, die eine erstaunliche Tiefe entfalten, wenn wir sie erreichen. Ein Beispiel hierfür wäre eine Person, die nie in der Lage war, ihre Wut auszudrücken und stattdessen vielleicht geweint hat. Entsprechend ist Wut für sie dann auch schwer in die Rollenarbeit integrierbar. Doch wenn sie im Lucid-Body-Raum ihre Wut erreicht, wird ihre
Darstellung einer wütenden Rolle plötzlich eine ganz andere Tiefe bekommen. Sie wird die Rolle vielleicht viel interessanter spielen als zum Beispiel ein Choleriker. Ähnlich verhält es sich mit jemandem, der möglicherweise einen Schutzwall um sein Herz errichtet und Schwierigkeiten hat, tief emotionale Rollen zu spielen. Wenn er jedoch bereit ist, sich mit seinem Herzen zu verbinden und sich seinen Blockaden zu stellen, wird seine Darstellung eine ganz neue Dimension erhalten. Dieser Prozess bringt oft eine unerwartete Intensität und Authentizität in die Schauspielarbeit. Einmal sah ich in einem Tanzstück eine unglaublich ausdrucksstarke
querschnittsgelähmte Tänzerin. Wie sie sich auf der Bühne ihren Körper zurückeroberte, war
zutiefst bewegend. Sie wurde für uns alle zur wahren Heldin!
Warum glaubt ihr, dass die Lucid-Body-Technik gerade jetzt so präsent ist und an Bedeutung gewinnt?
Jan: Ich glaube heutzutage merken viele Menschen, dass wir mit rein rationalem „Vernunftdenken“ an Grenzen stoßen, was große Probleme betrifft. Wir brauchen emotionale Intelligenz, Vertrauen in den Körper und Intuition, um komplexere Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu finden. Diese Wende spiegelt sich auch im Schauspiel wider, da wir als Schauspieler*innen im besten Fall Gesellschaft abbilden. Die Lucid-Body-Technik bietet eine Möglichkeit, jenseits des rein intellektuellen Zugangs zu arbeiten und die unfassbare
Intelligenz des Körpers zu nutzen. Der Körper ist unvorhersehbar und überraschend kreativ und die Technik eröffnet die Möglichkeit, über sich selbst hinauszuwachsen und tiefer in die Rollenarbeit einzutauchen. Es geht darum, die eigene Offenheit zu steigern und sich emotional durchlässig zu machen, um Impulse von außen aufzunehmen und in den kreativen Prozess einzubeziehen.
Sophie, inwieweit könntest Du die Technik auch anderen Gewerken wie Casting, Regie, Drehbuch weiterempfehlen?
Lucid Body setzt enorm viel Kreativität frei. Die meisten Schüler*innen berichten, dass sie, wenn sie intensiv mit der Methode arbeiten, intensivere Träume haben, da wir viel mit dem Unterbewusstsein arbeiten. Dies kann auch für Autor*innen, Regisseur*innen und andere Kreative interessant sein, da es die Phantasie zutiefst anregt. Ich erinnere mich an eine Malerin in einer meiner Klassen, die, nachdem sie Lucid Body gemacht hatte, unglaubliche Zeichnungen geschaffen hat. Sie brachte immer ihren Block mit in die Klasse und malte nach
den gemeinsamen Übungen. Ich würde sogar sagen, Lucid Body ist etwas für jeden, der lustvoll in die Tiefen es Selbst eintauchen möchte und seinen eigenen Ausdruck erweitern möchte.
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